Finanzpsychologie: Der «Investitions-Trugschluss» bei Entscheidungen
Sie treffen laufend Entscheidungen. Jede Entscheidung ist mit Investitionen verbunden, die sich in Form von Zeit, Geld, Energie, Emotion etc. wiederspiegeln. Eine Entscheidung, sei sie privat oder geschäftlich, geschieht stets unter einer gewissen Unsicherheit. Denn was wir uns als Ausgang ausmalen, mag eintreffen oder nicht. Doch wie behandeln wir die Risiken unserer Entscheidungen? Wie entscheiden wir über Investitionen? Welche Faktoren wirken dabei mit?
An folgenden Alltagssituationen soll illustriert werden, wie Entscheidungen aussehen können und welche Faktoren bei der jeweiligen Investition mitwirken.
Situation 1: Montagsauto. Torsten, 41 Jahre, hat vor über drei Jahren einen Neuwagen gekauft. In den ersten 18 Monaten lief der Wagen einwandfrei. Die gesamte Familie war vollumfänglich mit dem Kauf zufrieden. Nach Ablauf dieser Frist tauchten immer wieder Mängel auf. Um die Sicherheit seiner Familie nicht zu gefährden, liess Torsten die Mängel stets umgehend beheben. Diese waren jeweils auf eine minderwertige Produktion der Bestandteile zurückzuführen und müssen, nach Ablauf der Garantie, durch den Fahrzeugbesitzer selbst behoben werden. Obwohl mit jeder neuen Reparatur der Ärger über den Erwerb des Fahrzeuges steigt, behält Torsten das Fahrzeug.
Situation 2: Werbekampagne. Barbara, 52 Jahre, ist Marketingleiterin in einem Grossunternehmen. Nach Monaten der Evaluation und Vorbereitung, wurde vor vier Monaten die Werbekampagne für das neue Produkt lanciert. Der berechnete und budgetierte „Return on Investment“ blieb jedoch aus. Als Marketingverantwortliche schlägt Barbara vor, die Produktlancierung nochmals zu überdenken, bzw. die Kampagne einzustellen. Der Produktleiter jedoch findet die bereits getätigte Investition in die Produktlancierung als zu schwerwiegend und hält an der Werbekampagne im geplanten Sinne fest.
Situation 3: Beziehung. Thomas, 54 Jahre, ist seit vielen Jahren verheiratet. Seine Ehefrau hat ihn vor einigen Jahren betrogen, ein einmaliger Ausrutscher, wie sie sagt. Damals war der beidseitige Wunsch, weiterhin an der Beziehung festzuhalten. Obwohl seit dem Vorfall das Vertrauen stark beschädigt ist und es regelmässig zu unschönen Szenen kommt, hält Thomas an der Beziehung fest.
Die Entscheidungsgrundlagen. In den drei Fällen wurde jeweils viel investiert, in Form von Energie, Geld, Arbeit, Gefühlen etc. Die Situationen zeigen auf, dass je höher die Investition in der Vergangenheit ausgefallen ist, umso bereitwilliger werden weitere Investitionen gefällt. Ökonomisch betrachtet würde weder ein Unternehmen noch eine Privatperson in unnötige Investitionen einwilligen.
Warum dieses Verhalten? Die Alternative – z.B. der Verkauf des Montagsautos; der Abbruch der Werbekampagne; die Auflösung der Beziehung – würde zwar den weiteren Verlust der Investitionen eindämmen oder sogar stoppen und doch es ist keine Option.
Gemäss Dobelli (2011, S. 22) wird das Investierte dann zur Begründung, weiterzumachen, selbst wenn es objektiv gesehen keinen Sinn macht. Die bereits getätigte Investition wiegt stärker als der erlittene Verlust. Anstatt in die Zukunft zu blicken, wird das bereits Investierte berücksichtigt.
Bei diesem Vorgehen wird vom „sunk-costs-effect“ gesprochen, dem Effekt der versunkenen Kosten. Je mehr Energie in eine Situation gesteckt (bzw. versenkt) wird, umso häufiger wird weiter investiert. Es erscheint falsch, aufzugeben.
Welche Begründung wirkt hier zusätzlich noch mit? Neben dem «sunk-costs-effect» kann auch die «effort justification», die Aufwandsbegründung, als Trugschluss genannt werden. Gemäss Bierhoff und Frey (2011, S. 160) wird dabei die Attraktivität der Aufgabe gesteigert, je höher sich der Aufwand für eine Aufgabe beläuft, in die investiert oder sich freiwillig verpflichtet wird.
Wo befindet sich die Grenze? Das Problem dabei ist, dass es keine Markierung gibt, die anzeigt: wenn das Ziel – die Zufriedenheit mit dem Resultat, die gewünschte Investition, das passende Gefühl etc. – bis hierhin nicht erreicht ist, dann wird aufgegeben. Oft ist es richtig, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Es stellt sich nur die Frage, wann wechselt Durchhaltevermögen, das sich irgendwann lohnen könnte, in sinnloses Festhalten an ein Ziel? Ab welchem Zeitpunkt ist die Ausdauer fragwürdig und wird zum «Investitions-Trugschluss»?
Es braucht Mut zur Objektivität, um den Effekt einer Entscheidung verändern zu können. Und es braucht einen essentiellen Grundgedanken: Egal, was bereits in Situationen investiert wurde, es zählt einzig das Jetzt und die Einschätzung für weitere Investitionen in der Zukunft.
Das Eingestehen von Fehlern ist schmerzhaft. Es bringt die Aufgabe mit sich, einen gefällten Entscheid zu verändern. So generieren wir einen Widerspruch. Wir geben zu, früher anders gedacht zu haben als heute. Wir verlieren an Konsistenz. Doch der Mensch braucht Konsistenz, sie vermittelt Sicherheit und Gewissheit.
Persönliche Resonanz. Das Wissen um die Effekte, Tendenzen, Illusionen, Anomalien etc., die beim «Investitions-Trugschluss» mitwirken, haben mich meiner Illusion beraubt, dass der Mensch nur als Individuum funktioniert. Zwar hat jeder Einzelne die Möglichkeit seine Entscheidungen selbst zu fällen, doch die Umwelt-Einflüsse wirken mit, bewusst oder unbewusst. Andererseits stimmt mich das Wissen darüber versöhnlich. Es liefert Erklärungen und fördert Verständnis für fragliche Entscheidungen.
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